Sir Ken Robinsons Worte über den außergewöhnlichen Aufstieg des Menschen leiten den Prolog von "Alphabet" ein und sind der Auftakt einer Reise zu den verschiedenen Perspektiven auf eine Bildungskultur, die sich zwar überholt hat, aber zu- gleich die Möglichkeit für eine große Chance bietet – die Erkenntnis, dass Veränderungen möglich sind. Und, dass sie notwendig sind. Wir alle wollen unseren Kindern mit einer guten Ausbildung die bestmögliche Zukunft ermöglichen. Und den meisten Eltern ist kein Opfer zu groß, um ihre Kinder auf eine gute Schule zu schicken, und – wenn nötig – zusätzlich noch Nachhilfestunden und schulbegleitende Kurse zu bezahlen.
Bildung ist ein boomendes Geschäftsfeld geworden. Leistung ist inzwischen das dominierende Bildungsziel, und das Synonym dafür ist "Pisa". Am Beginn des Films begleitet Erwin Wagenhofer den "Pisa"-Koordinator Andreas Schleicher auf einer Chinareise. hier werden den Schülern permanent Höchstleistungen abverlangt. nirgendwo sonst haben die Kinder ein derartiges Lernpensum zu absolvieren. Kreativität und Phantasie hin- gegen gehen im gnadenlosen Drill weitestgehend verloren. Dennoch steht China bei den "Pisa"-Ergebnissen weltweit genauso unangefochten an der Spitze wie bei der Anzahl junger Menschen, die durch Selbstmord ums Leben kommen. Der chinesische Erziehungswissenschaftler Yang Dongping zieht für sein Land ein bitteres Resümee: "Unsere Kinder gewinnen am Start und verlieren im Ziel." auch der Wettbewerb "CEO Of The Future", der alle zwei Jahre veranstaltet wird, steht unter der Maxime der Leistung. Die jungen Finalisten haben nur ein Ziel vor Augen: in möglichst kurzer Zeit eine möglichst steile Karriere zu machen. Vor laufender Kamera erklären sie ihre Bereitschaft zum Verzicht auf Freizeit und Familie zugunsten ihres beruflichen Aufstiegs. so werden "Frauen als tickende Zeitbomben" analysiert und "Kinder sollte man planen wie die eigene Karriere". Von "angriff und feindlichen Übernahmen" ist die Rede, denn für den "Unternehmenserfolg sind alle Mittel erlaubt".
Dies ist das militärische Alphabet aus preußischen Tagen, angewandt von jungen Menschen für eine Unternehmenskultur der Zukunft. "Geld zu verdienen wird in 2030 noch wichtiger sein, als es jetzt schon ist", sagt die spätere Gewinnerin des Wettbewerbes. Doch Führungskräfte, die nur gelernt haben, sich anzupassen, sind für ihre Aufgaben schlecht gerüstet. Thomas Sattelberger, Personalvorstand großer deutscher Konzerne wie "Daimler-Benz", "Lufthansa" und der "Deutschen Telekom", weiß, wovon er spricht. Und er lässt keinen Zweifel da- ran aufkommen, dass sich unser Bildungssystem auf einem fundamental falschen Weg befindet. Menschen, die ihre ganze Schulzeit hindurch in starre Denknormen hineingezwungen wurden, sind auch als Erwachsene kaum dazu imstande, unkonventionelle und mutige Entscheidungen zu treffen.
Wer nur einen Hauptschulabschluss hat und sich als jugendlicher Arbeitsloser durchs Leben schlägt, lebt am anderen Ende der sozialen Skala. Frühzeitig abgehängt und ein Leben vor Augen, das aus schlecht bezahlten Aushilfsjobs und periodisch wiederkehrenden Demütigungen auf dem Arbeitsamt besteht, kämpft Patrick aus Dortmund verbissen, aber sehr klarsichtig darum, seine schlechte Ausgangssituation zu überwinden und endlich einen geordneten Einstieg ins Berufsleben zu schaffen.
"Anders" zu sein gilt als Makel. Wer nicht der Norm entspricht, wird vor zum Teil unüberwindbare Hürden gestellt. Der Spanier Pablo Pineda wurde mit dem Down-Syndrom geboren. Dank der Zähigkeit seiner Eltern konnte er eine Schule besuchen und hat später einen Universitätsabschluss geschafft. Dass er beruflich viele seiner Gleichaltrigen überflügelt hat, ist für ihn nicht wichtig. Konkurrenzdenken ist ihm fremd. nicht gegen die anderen will er bestehen, sondern mit ihnen. Die entscheidende Kraft im Leben ist für ihn die Liebe.
Arno Stern widmet sich seit mehr als 60 Jahren der Förderung der Kreativität – hauptsächlich, aber nicht nur – jener von Kindern. Respekt vor der Eigenständigkeit der Kinder und die behutsame Ermunterung, ihre Potentiale zu entdecken und zu entwickeln, ist sein Credo. sein eigener Sohn André hat nie eine schule besucht und ist ein Multitalent, das sich in mehreren Berufen behauptet hat.
Der hirnforscher Gerald Hüther bringt es auf den Punkt: "sie können keinen Menschen Bilden, hirntechnisch geht das nicht. Der kann sich nur selber bilden, aber der bildet sich nur selber, wenn er will. Und sie können keinen zwingen, dass er sich bilden will, sondern sie können ihn nur einladen. Und das ist Erziehungskunst." Er beschreibt klar die schwäche unseres Schulsystems, wenn er sagt: "So gut wie jedes Kind hat das Rüstzeug, hochbegabt zu sein. Unser Gehirn ist imstande, alles zu erlernen, was uns tatsächlich interessiert. Die Voraussetzungen dafür sind Begeisterung und Leidenschaft. Mit einem Bildungssystem, das die Erfüllung normierter Leistungskriterien zum obersten Ziel erhebt, ist das allerdings nicht zu schaffen."
Alphabet liefert zwar einen ernüchternden Befund über den Zustand unserer Bildungssysteme, kommt aber zu einer optimistischen Schlussfolgerung: wir können die eingefahrenen Wege unseres Denkens auch verlassen, und es liegt ausschließlich an uns, es zu tun. Und so schließt Sir Ken Robinson Alphabet mit einem Zitat von Benjamin Franklin und einer Aufforderung: "Es gibt drei Arten von Menschen. solche, die unbeweglich sind. solche, die beweglich sind und solche, die sich bewegen. ich ermutige sie, sich zu bewegen und einen Schritt vorwärts zu tun"...
Autor/Bearbeitung: Frank Ehrlacher
Update: 31.01.2019
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