Ein Musical über Teenager-Depressionen – dass es sowas auf die große Kino-Leinwand schafft, ist vor allem den Songwriter-Shootingstars Pasek + Paul zu verdanken. Sie entwickelten "Dear Evan Hansen" zu Beginn ihrer Karriere als Studio-Bühnen-Stück, das es innerhalb kürzester Zeit an den Broadway schaffte und schließlich diverse Tony-Awards abräumte (inklusive des Hauptpreises als bestes Musical). Es folgten ein Texter-Auftrag für
"La La Land" und dann der mit Hits von Pasek + Paul überbordende Kino-Hit
"Greatest Showman".
Die Zirkus-Revue mit
Hugh Jackman war freilich direkt fürs Kino konzipiert (und wird am Londoner West End gerade auf Bühnenmaß gestutzt), während mit "Dear Evan Hansen" nun ein ursprünglich kleines Theater-Frühwerk das Cinemascope-Format füllen soll. Das mag einer der Gründe sein, warum sich die US-Kritik mit dieser Verfilmung schwertat. Eine Geschichte, die auch vor Themen wie Suizid, Psychopharmaka und Social-Media-Mobbing nicht Halt macht, funktioniert im intimen Rahmen vielleicht besser als in einem bunten High-School-Film.
Lässt man sich darauf ein, kann man sich der emotionalen Wucht von Bildern und Melodien allerdings kaum entziehen, auch wenn man "Dear Evan Hansen" dabei durchaus eine gewisse Oberflächlichkeit vorwerfen darf. Komplexität leidet schon mal, wenn sie ins Versmaß passen muss. (Dieses Problem kommt möglicherweise in der deutschen Fassung mit übersetzten Songtexten noch stärker zum Tragen, auch wenn es natürlich grundsätzlich lobenswert ist, dass der hiesige Filmverleih Geld in eine aufwändige Gesangs-Synchro gesteckt hat, um den Stoff für ein junges Publikum zugänglicher zu machen.)
Zumindest findet Regisseur Stephen Chbosky, der mit
"Vielleicht lieber morgen" ("The Perks Of Being A Wallflower") eine der besten Coming-Of-Age-Geschichten der vergangenen Jahre geschrieben und verfilmt hat, aber auch zwischen den eingängigen Songs die richtige Tonlage. Dabei hilft unter anderem eine beeindruckende Riege toller Schauspielerinnen in den Nebenrollen: die Jungstars
Kaitlyn Dever (aus der brillanten Netflix-Serie "Unbelievable") und
Amandla Stenberg (
"The Hate U Give") überzeugen genauso wie ihre erfahrenen Kolleginnen
Amy Adams (
"Arrival") und
Julianne Moore (
"Still Alice").
Letztendlich gehört der Film aber Hauptdarsteller Ben Platt (
"Pitch Perfect"), der den Titelcharakter trotz seiner ambivalenten Entscheidungen greifbar macht. Dass Platt inzwischen 10 Jahre älter ist als die Figur, die er spielt – geschenkt. Dass in Online-Foren von "Vetternwirtschaft" bei der Rollenvergabe die Rede war, weil Platts Vater den Film produziert hat, zeigt höchstens wie durchtrieben die "sozialen" Medien manchmal sind. Platt hat den Charakter ursprünglich mit entwickelt, jahrelang in diversen Inszenierungen geprägt – und daher jedes Recht dazu, hier ein (vermutlich) letztes Mal seinen verletzlichen und verletzenden Evan Hansen zu geben. Eine Figur, die man mögen kann, aber nicht muss – genau wie diesen Film.
FAZIT: "The Greatest Teen Angst" – gut gespieltes und komponiertes Musical über eine komplizierte Zeit im Leben.